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Sinnesverblüffung im Rheingau: Weinprobe bei dem "Harry Potter der Winzer" Eine Weinprobe bei Ullrich Allendorf


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Wie das Auge die Nase hinters Licht führt
Sinnliche Weinprobe im Gut Fritz Allendorf


Andere hinters Licht zu führen, bedeutet meist nichts Gutes. Der Winzer Ulrich Allendorf aus Oestrich-Winkel indes schenkt seinen Gästen reinen Wein ein, indem er sie ganz offensichtlich irreführt. Allendorfs „Wein.Erlebnis.Welt“ beruht auf Sinnestäuschungen durch farbiges Licht.

Mittelpunkt ist der Lichtraum. Die Besucher betreten ihn mit einem Glas Riesling in der Hand. Der Wein ist hellgelb mit dezenten grünen Reflexen. Er verströmt einen feinen Duft von Pfirsich und Aprikosen – und so mundet er: frisch, fruchtig, trocken, gepaart mit einer verhaltenen Süße. Die Verkoster sind sich einig: Der typische Riesling schmeckt wie ein typischer Riesling.

Ulrich Allendorf sieht aus wie jemand, dem der Schalk im Nacken sitzt. Der kräftige, untersetzte 37-Jährige schaut verschmitzt aus seinen braunen Augen in Runde, streicht mit der rechten Hand über sein fast kahles Haupt und verleiht seinem Vortrag mit einer eleganten Drehung um die eigene Achse noch mehr Schwung. Der Absolvent der Geisenheimer Fachhochschule für Weinbau und Getränketechnologie hätte auch Entertainer werden können. Kaum hat er wieder Bodenkontakt, wechselt das Licht zu Rosarot.

Plötzlich sieht der Wein aus wie Spätburgunder Weißherbst. Niemand vermutet Aromen roter Früchte in einem Riesling – jetzt schon: Aus den Gläsern duftet es nach Erdbeeren, Himbeeren, Heidelbeeren, Johannisbeeren und Brombeeren. Der Wein ist kräftiger, intensiver, süßer, aromatischer. Die Fruchtaromen deutlich verstärkt.

Farbensehen ist eine sinnliche Wahrnehmung und hängt von Assoziationen zu vorangegangenen Erlebnissen ab, schreibt Bettina Rodeck in dem Buch „Mensch, Farbe, Raum“ (Koch-Verlag). Jeder Mensch hat einen Vorrat an genetischen und persönlichen Erfahrungen und Vorstellungen gespeichert, die seine Farbwahrnehmung und seine Reaktion beeinflussen.

Farben sprechen nicht nur den Gesichtssinn an, sondern erregen aufgrund ganzheitlicher Verbindungen und Mitempfinden die anderen Sinnesorgane wie den Hör-, Geruchs-, Geschmacks-, Temperatur- und Tastsinn. So werden zum Beispiel Farbnuancen und Farbkombinationen als laut oder leise, wohl oder übel riechend, dezent oder aufdringlich, als süß oder sauer, warm oder kalt, hart oder weich empfunden. Sagt jemand, „dieses Rot ist mir zu schwer und süßlich“, dann hat das Rot schon drei andere Sinne mit angesprochen: den Tastsinn (Gewicht) sowie den Geruchs- und Geschmackssinn.

Ulrich Allendorf freut sich schon – auf die Wirkung der Farbe Grün. Der Harry Potter der Winzer betätigt den Schalter, und Simsalabim – der 2003er Allendorf Riesling QbA trocken duftet nach Zitrone und Limone, Stachelbeeren, Kiwi, grüner Apfel. Die herbe Säure tritt in den Vordergrund, der Wein wirkt trockener, spritziger und jünger. Dazu kommt noch eine Sinnestäuschung: Der 20 Quadratmeter große Lichtraum wirkt durch zwei gegenüberliegende verspiegelte Wände mindestens doppelt so groß. 24.000 Euro investierte Ulrich Allendorf, bevor er ihn im April 2003 stolz eröffnete. Sein Lichtraum sei weltweit einmalig, betont der 37-Jährige. Das Weingut hatte er 1996 nach dem plötzlichen Tod des Vaters zusammen mit seiner Schwester Christine Schönleber übernommen, die das Restaurant des Weinguts leitet. Mit 58 Hektar Anbaufläche ist es der größte privat geführte Weinbaubetrieb im Rheingau.

Die Familiengeschichte lässt sich bis ins Jahr 1292 zurückverfolgen. Die Ritter von Allendorf hatten mit Wein damals wenig im Sinn. „Der Adelstitel“, plaudert der Nachfahre, „wurde 1565 verkauft“. Und sinniert: Vielleicht lebt es sich ja ohne besser ...“ Dann schaltet er das Licht auf Blau.

Prompt bezweifeln die Verkoster – und das sind keine Laien, sondern Mitglieder des Vereins „Weinfeder“, der Vereinigung deutschsprachiger Weinpublizisten – ob es sich bei der Flüssigkeit im Glas überhaupt um Wein handelt. Das kräftig blaue Licht macht den Wein farblos wie Wasser. Er duftet nicht mehr. Und er schmeckt anders: kälter, leichter, fast geschmacksneutral. Die Aromen sind verschwunden. Farbe ist kein objektiver Zustand und auch keine Eigenschaft eines Materials. Farben entstehen im Gehirn des Betrachters und beeinflussen dessen Emotionen. Jeder Mensch hat – von Beeinträchtigungen der Sinnesorgane abgesehen – die relativ gleiche Farbwahrnehmung. Die Farbempfindung der Grundfarben ist bei allen Menschen ebenfalls gleich: Rot wird immer eine warme Qualität zugeschrieben, Blau dagegen als kalt empfunden. Die persönliche Sichtweise und Beurteilung einer Farbe hängt dagegen mit der individuellen Persönlichkeitsentwicklung zusammen. Das heißt zum Beispiel, dass ein Mensch mit Kälte Freiheit, der andere Einsamkeit assoziiert und damit die Farbe Blau zwar für beide kalt wirkt, aber eine unterschiedliche Wirkung erzielt. Trinkt also das Auge mit, kommt es unausweichlich zu Empfindungen. Auch der Wein erscheint in einem anderen Licht.

Als nächstes Gelb im Lichtraum. Der Riesling duftet angenehm fruchtig, riecht nach Pfirsich, Aprikose und exotischen Früchten: Es dominieren Mango, Papaya und Ananas. Süße und Säure sind harmonisch eingebunden, auf der Zunge ist der Wein kräftig und sehr aromatisch.

Der Erfinder der schottischen Weinprobe – ein Glas Wein, sechs verschiedene Geschmackserlebnisse – weiß auch, woran man seinen Lieblingswein erkennt. „Kein Hokuspokus“, meint Ulrich Allendorf, „sondern vollkommen logisch.“ Er macht das Licht aus. Und munkelt im Dunkeln: „Trinken Sie einen Schluck. An welche Farbe denken Sie jetzt und welchen Geschmack verbinden Sie damit? Das ist der Wein, den Sie am liebsten mögen. Es sei denn, jemand denkt an Blau. Dem ist Riesling zu lasch.“ In diesem Fall empfiehlt er Wein aus dem Barrique.

Entlassen werden die Gäste in normalem weißem Licht. Der Spuk ist vorbei, alles wieder so, wie man es kennt: Der Riesling ist hellgelb, frisch, fruchtig und besticht durch seine Pfirsich-Aromen. Hinters Licht geführt fühlt sich keiner. Eher ein bisschen erleuchtet.

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